Bruck/Nürnberg - Memmingen; 19. August 2001 - 23. August 2001
320 km; 5 Tage


Es geht wieder los. Der Sommer zeigt sich von seiner schönsten Seite, die Röcke werden wieder kürzer getragen, Blondinen schlecken verführerisch am Eis. Zum Glück muss ich das nicht sehen - bin ja seit Monaten im Büro und darf die Arbeit meines Chefs mitmachen, der eine Ebene aufgestiegen ist. Also beschließe ich, ebenfalls aufzusteigen - auf meinen Drahtesel. So stehe ich am Vortag des Tourstarts bei einer ehemaligen Kommilitonin in Bruck bei Nürnberg auf der Türschwelle und ernte, wie üblich, Gelächter. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich meine Ankündigung wahrmache. Wieso muss ich allen beweißen, dass ich es ernst meine?
Nach einer letzten Nacht auf einer weichen Matratze geht's am 19. August mit dem Ziel München, Memmingen, Bregenz am Bodensee und dann in die Schweiz los. Im Gegensatz zur letzten Tour habe ich die Lenkertasche weggelassen - zu viel Stress mit abnehmen und befesstigen, wenn ich das Fahrrad verlasse oder mein Nachtlager aufschlage. Die Packtaschen habe ich gegen 100% wasserdichte 'Back Roller Classic' von Ortlieb ausgetauscht. Eine zweite Bikeshort von Agu habe ich ebenfalls erstanden. Bei der alten, einem billigeren Model, lösste sich das Futter teilweise von den Bahnen. Die Funktionswäschekollektion habe ich ebenfalls aufgestockt. Neue Handschuhe nenne ich auch mein eigen. Und zu guter letzt habe ich mir noch Überzieher für die Füße aus dem Motoradfachhandel als Regenschutz besorgt - richtige währen zu teuer gewesen. Gesundheitlich stehe ich wieder gut da: der Außenbandabriß der Apriltour ist wieder geheilt und die Finger spüre ich auch alle wieder.
Main-Donau-Kanal Die ersten fünf Stunden führen mich entlang dem Main-Donau-Kanal nach Süden, eine sehr empfehlenswerte Strecke für Jogger oder Tagesausflüge zu Fuß oder per Pedes. Später am Abend erreiche ich den Campingplatz bei Greding. Ein älteres Pärchen aus den Niederlanden schaut mich etwas verdutzt an, als ich mit meinem Touri-niederländisch nach der Rezeption frage, helfen mir aber feundlich weiter. Obwohl ich ihre Sprache leider nicht verstehe, weiß ich jetzt, dass es hier keine Anmeldung gibt. Auch gut - ich suche mir einen Platz, an dem ich am nächsten Morgen Sonne erwarten kann und widme mich der Körperpflege. Wieder muss ich feststellen, dass mir mehr Wasser und Salz in der Hitze des Tages gut getan hätte. Auch hätte ich die Sonnencreme früher nutzen sollen, wie mir meine rote Nase zu verstehen gibt.

Der Versuch, eine Nacht ohne Lumatra auszukommen, brachte mir einen unruhigen Schlaf ein. Nichtsdestotrotz freue ich mich, 10:00 Uhr weiterfahren zu können. Die Vorräte fülle ich unterwegs bei Aldi, Edeka und Co. auf - eine in dieser Gegend sehr effektive Möglichkeit, Proviantgewicht und -volumen niedrig zu halten.
Auf der Jura-Hochstraße Richtung Eichstädt überrascht mich dann Regenwetter. Zum Glück habe ich ja diesmal mit den Überziehern vorgesorgt. Ich sehe zwar untenrum aus wie Neil Armstrong auf zwei Rädern, ist aber besser als mit nassen Schuhen zu radeln. So komme ich abends auf dem Campingplatz bei Kühbach/Aichach an, schlage mein Zelt auf dem fast leeren Zeltplatz auf und gönne mir im nahe gelegenen Restaurant ein Viktoriafischfilet zum Abendbrot.

Den nächsten Tag begrüße ich bereits 6:00 Uhr - studentisch gesehen eine Unzeit. Ich packe meine Augenklappen aus und schlummere weiter. Als ich dann gegen 10 die Gepäcktaschen ans Fahrrad klemmen will, bemerke ich, dass diese an einigen Stellen am Gepäckträger scheuerten und schon böse in Mitleidenschaft gezogen wurden. Damit aus den Scheuerstellen keine Löcher werden, müssen die Taschen neu am Gepäckträger justiert werden. Zum Glück hatte mir der Händler gleich den passenden Imbussschlüssel mitgegeben.
Auch dieser Tag wartet vornehmlich mit Regen auf. Ich bin mittlerweile ganz stolz, dass ich mich für die Überzieher entschieden habe. Auch die Allwetterjacke von Schöffel, die mich seit meiner ersten Tour begleitet, hält was sie verspricht
Gegen Nachmittag nähere ich mich der bayerischen Landeshauptstadt. Die Karten mit dem Maßstab von 1:200.000 genügen mittlerweile nicht mehr und ich steige auf die mitgebrachte Münchener Straßenkarte um. Leider ist die aus den 60'er Jahren, was mich als gelernten Bundi aber nicht davon abhält, die Wohnung eines ehemaligen Kommilitonen pünktlich zu erreichen. So komme ich wieder mal zu einer erfrischenden Dusche - den Fliegen, meinen treuen Begleitern, zum trotz.

Gestärkt und ausgeschlafen trete ich am nächsten Morgen die Weiterreise Richtung Memmingen an. Just als ich das Ortsausgangsschild hinter mich lasse, klingelt mein Handy. Mein Chef mit Arbeit? Ein Kontrollanruf meiner Eltern? Oder habe ich etwas liegen gelassen? Nichts von alledem - ein Kommilitone braucht meine Unterstützung bei seiner Diplomarbeit. Ich vertröste ihn auf meine Wiederkehr. Schön, dass es Menschen gibt, die mich brauchen. Ein zweites Telefonat kommt aus meiner Heimat. Ein Freund teilt mir mit, dass er kurzfristig jemanden zum Kajaking und Canyoning in der Nähe von Bad Reichenhall sucht. Ich beschließe, meine Tour bis Memmingen fortzusetzen und danach mit dem Zug nach B'Reichenhall überzusiedeln.
Überquerung des Ammersees Die Möwen sind auch dabei. Gesagt, getan, schwinge ich mich wieder aufs Bike. Die mittlerweile sehr hoch stehende und wärmende Sonne bestärkt mich, das Richtige getan zu haben. Ich überquere den Ammersee bei Schondorf und erreiche 18:00 Uhr Landsberg am Lech. Die Stadt überzeugt mit ihrem mittelalterlichen Flair und einem Biergarten, in dem ich mich niederlasse und die bayerische Küche erlebe. Besonders empfehlenswert ist ein romantischer Spaziergang an der gut erhaltenen Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Jaja, ich werd melancholisch - bin wohl wieder zu lange am gleichen Ort.
Eine wesentlich weniger tiefgehende Erfahrung lehrt mich die Citybank. Getreu dem Motto 'Keine Filiale - kein Geld' verringern sich meine Barreserveren langsam aber stetig. Bei der nächsten Tour werde ich diesem Punkt mehr Beachtung schenken.

Es ist der 23. August. Die letzten 75 km nach Memmingen reiße ich noch runter und schlage mein Zelt auf dem nahegelegenen Campingplatz auf. Beim Abendessen im angeschlossenen Restaurant mit Seeblick treffe ich auf drei frisch gebackene Abiturientinnen, die sich gegenseitig ihre Studienpläne vorschwärmen. Selbst im achten Semester denke ich mir meinen Teil und lasse mir einen Schwammerlsalat credenzen.

Und hier endet eigentlich auch schon die zweite Biketour. Um die Verbindung zur ersten Tour herzustellen, schlage ich am nächsten Tag am Bahnhofsgebäude ab und setze mich in den Zug nach B'Reichenhall. Unterwegs begleiten mich jugendliche Massen, die zum 'Chiemsee Reggae Summer'-Festival pilgern. Leider habe ich keine Zeit, um Hans Söllner, Thomas D. und Co. zu huldigen.
Kein Kommentar! In Bad Reichenhall, wahrscheinlich der Stadt mit dem höchsten Durchschnittsalter, angekommen, besteige ich meinen treuen Gefährten und quäle mich die Berge hoch. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte...

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