Wieder sind einige Wochen ins Land gegangen, das Praktikum beendet, mein Chef zufrieden und das Wetter besch...eiden. Die Deutsche Bahn bringt mich nach Gaggenau und es kann wieder losgehen. Als Ziel der Reise habe ich mir Monaco ausgesucht - ja genau, das Mecca der Prominenten und Reichen. Aber sicherlich auch ein Ort, der mit seinem Mittelmeerklima überzeugt. Um dorthin zu gelangen, gibt es grundsätzlich zwei Wege. Die (per Luftlinie) kürzere Strecke über die Alpen mit Ankunft aus Osten. Und die Westumfahrung der Alpen durch Frankreich. In anbetracht dessen, dass ich wohl keine Campingplätze in den Alpen finden dürfte, entscheide ich mich für die französische Variante.
Der erste Tag bringt mich heraus aus dem Schwarzwald hinein in die Rheinebene bis Kehl, die letzte größere Stadt vor der französischen Grenze. Aus dem üblichen jugendlichen Leichtsinn heraus erwähle ich, vor die Entscheidung gestellt, die Jugendherberge oder den Campingplatz anzusteuern, den grünen Rasen. Dieser erweist sich Dank des nächtlichen Regens als weniger wasserdurchlässig als anzunehmen. Das fängt wieder gut an.
Was soll's, ich lass mir die Stimmung nicht verderben, ich nicht! Als Ausgleich komme ich heute gut voran. Die Gegend ist relativ flach und hier und da gibt es längere Strecken mit Fahrradwegen. 14:00 Uhr ist es dann soweit - ich setze mit einer Fähre bei Rhinau über den Rhein. Nach 6½ Stunden Fahrt habe ich die 80 km nach Colmar hinter mir und freue mich auf den abendlichen Besuch der 'Hauptstadt des Elsaß'. Die Stadt erweist sich als durchaus sehenswert. Verwinkelte Gäßchen wechseln sich mit Kanälen ab. Auf kleine, angenehme Cafes am Straßenrand folgen Marktplätze oder Lädchen, die zum Verweilen einladen. Wohl nicht zu unrecht trägt dieser romantische Urlaubsort den Beinahmen 'petite Venice'.
Es ist Dienstag, der 18. September, jemand muss heimlich meine Uhr verstellt haben. Halb 11 trete ich endlich in die Pedalen. Ein andere Sorge begleitet mich, als ich die ersten Dörfer passiere. Alle Geschäfte haben geschlossen und meine Nahrungsmittel und Flüssigkeitsvorräte neigen sich dem Ende zu. Dazu gesellt sich noch Gegenwind - wenigstens regnet es nicht.
Vorbei an seltsam anmutenden Behausungen geht es Richtung Belfort. Unterwegs erstehe ich dann doch noch mein erstes Baguette - es soll nicht das letzte sein.
Auf dem Campingplatz von Belfort angekommen erobere ich wieder als erstes die Straßen zur Innenstadt. Hierbei stößt man unweigerlich auf dessen Wahrzeichen - dem im 17. und 18. Jahrhundert erbauten Chateau de Belfort, an dessen Gemäuer sich eine überlebensgroß in Stein gemeiselten Löwenfigur befindet. Bei der abendlichen Wanderung kreuz und quer durch die Festungsanlagen genieße ich den Ausblick über die Stadt, die sich mir später am Abend mit ihrem interkulturellem Flair präsentieren wird.
Zurück im Nest falle ich, müde von den Eroberungen des Tages, gleich in die Koje und ...
... wache am nächsten Morgen mit dem Wissen auf, dass meine Lumatra auffällig viel Luft gelassen hat. Auf der nächsten Tour muss ich in Sachen Schlafkomfort unbedingt einen Schritt nach vorn tun.
Der heutige Tag soll mich bis ins 85 km entfernte Besançon führen. Angesichts der fortgeschrittenen Stunde (11 Uhr) fängt der Campingplatzwart, der mir noch ein paar Tips auf den bergigen Weg gibt, an, an mir zu zweifeln. Fröhlich nehme ich seinen Rat für die nächste Übernachtung am Zielort an und lass mich nicht beirren - ich doch nicht.
Die Strecke ist auf der ersten Hälfte tatsächlich sehr anspruchsvoll. Nachdem ich aber die Doubs bei l'Isle s-le-Doubs erreicht habe, verläuft die Straße parallel zum Fluss relativ eben. Trotzdem zieht sich der Weg doch recht lang. Das Wetter schlägt um. Als ich endlich halb 8 das Ziel erreiche, bin ich bereits eine halbe Stunde im strömenden Regen und bei starkem Gegenwind unterwegs. Aber das stört wohl eher den Campingplatzwart, dessen Rezeption jetzt um einen kleinen See reicher ist.
In anbetracht des zunehmend stürmischen Wetters spanne ich schon mal alle zur Verfügung stehenden Sturmseile. Während ich mir im Zelt Banane auf Baguette schmecken lasse, nimmt draußen der Regen zu. Mein Zelt hält. Etwas später, Sturm gesellt sich hinzu. Mein Zelt hält. Gegen Mitternacht - Petrus gibt alles. Um mich herum tobt ein fürchterliches Unwetter. Das Außenzelt verformt sich bereits bedrohlich. Mein Zelt hält. - Drei Wetter Zelt.
Es ist Donnerstag, der 20. September. Nach einer regenreichen und stürmischen Nacht fahre ich mittags los. Da mein Fuß wieder etwas weh tut, lasse ich es heute etwas ruhiger angehen und wähle eine Kurzstrecke (ca. 50km) bis kurz vor Dole. Das Wetter sieht schon wieder besser aus als gestern. Der Weg führt mich entlang der Doubs Richtung West-Süd-West. Auf diese Weise kann ich mich entspannt von den Alpen entfernen ohne größere Erhebungen passieren zu müssen.
Der Tag an sich bringt keine besonderen Highlights mit sich. Gemütliches radeln durch ländlich geprägtes Frankreich. Die Zeit scheint hier teilweise stillzustehen.
Um meine Kenntnisse der französischen Küche auf eine breitere Basis zu stellen, genieße ich am Abend Schnecken nach Art Pontarlier. Eine leckere Angelegenheit, wenn ein Schüsselchen voll nicht gleich 20 Märker kosten würden und das Sprachproblem mit der Bedienung nicht wäre. Aber was tut man nicht alles zur europäischen Völkerverständigung.
Die darauffolgende Nacht zeigt sich wieder von seiner unruhigen Seite. Kopfschmezen und die Lumatra, die alle paar Stunden aufgeblasen werden will, brandmarken mich als Spätaufsteher. Da ich mich langsam aber sicher dem Rand meiner derrzeitigen Landkarte nähere, versuche ich in Dole, neues Kartenmaterial aufzutreiben - leider vergeblich. Bei der Suche nach geeigneten Läden gewinne ich den Eindruck, dass die Innenstadt recht sehenswert sein muss. Am Rand von Dole finde ich endlich einen Hyper-Marché, der auch die richtigen Karten hat. Jetzt ist der Weg bis zum Mittelmeer klar.
Die ersten 20 km hinter Dole führen mich auf der N73 schnurgerade nach Südwesten. Keine Abbiegung, keine Kurve, nur leicht bergauf oder bergab. Ich komme mir vor, wie in einem Movie im amerikanischen Hinterland. Der Held im Auto fährt Richtung Sonnenuntergang und verschwindet hinter einem Hügel, um vor der nächsten Anhöhe wieder aufzutauchen. Nur leider sind die Autofahrer hier weniger heldenhaft. Tote Füchse, Igel, Eichhörnchen und Geflügel begegnen mir schon seit Tagen.
Bei Pourlans verlasse ich die Nationalstraße Richtung Süden. Der Verkehr nimmt spürbar ab. In Pierre-de-Bresse ist der Zeitpunkt für Mittagessen gekommen. Hungrig mache ich mich über mein Bananen-Baguette her. Naja, für die Abwechslung auf der Tour ist das Essen nicht zuständig. Für Abwechslung sorgen Land und Leute. Unterwegs treffe ich ein Schweizer Pärchen mit ihren Bikes auf Tour. Leicht zu erkennen an den vollen Ortlieb-Taschen. Nach einem kurzen Schwätzchen geht's weiter nach Louhans. Auf den ersten Blick erkenne ich in dem Städtchen einige Restaurants und einen Campingplatz, auf dem ich mein Quartier aufschlage. Auf dem abendlichen Stadtrundgang entdecke ich ein Irish Pub. Wer allerdings gedacht hat, dort Iren oder wenigstens englischsprechende Gäste zu finden, der irrt. Nicht einmal der Wirt versteht meine Bitte nach einem Tee. (An meinem englisch kann es nicht liegen.) Zu meinem Glück findet sich aber schnell eine junge Französin, die sich als Dolmetscherin engagiert.
Der nächste Tag beginnt für mich wieder viel zu spät. Das Wochenende steht vor der Tür - die Nahrungsmittelvorräte müssen aufgestockt werden. Nach einer Einkaufstour in Louhans geht es dann 11 Uhr endlich los.
Eine weitere Herausforderung von Wochenenden (speziell von Sonnabenden) sind die Touries, die alle must-have-been's und must-have-seen's verstopfen. In Bourg-en-Bresse, DER Hauptstadt der Gegend, erwischt mich eine volle Breitseite Wochenendtouristen. In Bussen und Autos, mit Kind und Kegel kommen sie, stehen rum und fotografieren alles, was sie vor die Linse bekommen. Ich versuche mein Glück in Nebenstraßen, aber irgendwie verliert die Stadt schnell an Charme. Also nix wie weiter.
Wieder an der frischen Luft bemerke ich, wie sich der Herbst ankündigt. Die Blätter beginnen von den Bäumen zu fallen und legen sich neben die überfahrenen Tiere. Heute habe ich schon 2 Katzen und 4 Igel gezählt. In der Igel-Wertung ein neuer Tagesrekord. Die Katzen müssen noch etwas nachlegen.
Ein Anruf zu Hause erbringt die Kunde, dass das Wetter eher schlechter werden soll - na suuuper.
Mein Weg führt mich heute bis Amberieux en Dombes. Leider bleibt die Suche nach einem Restaurant erfolglos. Also setze ich mich wieder in ein Pub und schlürfe einen Tee. Wenigstens eine gute Möglichkeit, um bei Licht und in angenehmer Atmosphäre die Planung für die nächsten Tage zu machen: Da ich bereits in 7 Tagen wieder in Zwickau sein muss, beschließe ich, nur bis Marseille zu fahren.
Der nächste Tag setzt den nächtlichen Regen auch bei Tageslicht fort. Ich verschiebe den Abfahrtszeitpunkt Stunde um Stunde. Gegen Mittag hat mich dann das Wetter überzeugt, den ganzen Tag zu bleiben. Im Regen stapfend suche ich wieder ein Restaurant. Die Province ist bekannt für Bresse-Hühner. Ich weiß, dass es sie gibt. Am Wegesrand hatte ich bereits das Vergnügen mit dem weißen Federvieh - überraschenderweise bisher nur lebend. Nach einer Stunde von einem geschlossenen Lokal zum nächsten gebe ich auf.
Wieder auf dem Campingplatz angekommen wechsele ich erst mal einen Schlauch. Um den kaputten kümmere ich mich dann in Zwickau.
In Anbetracht des beinahe sinnlosen Tages widme ich mich wieder der Tourenplanung. Nach einem Blick auf die Karte beschließe ich, die Tour morgen in Lyon zu beenden und mit dem Zug über Straßbourg nach Zwickau zurückzufahren.
Und so endet meine dritte und bislang längste Fahrradtour zwar etwas überraschend, aber dennoch mit vielen Eindrücken und Erfahrungen, die mir auf den nächsten Routen sicherlich noch helfen werden. Schließlich soll es später am Lyoner Bahnhof wieder weiter gen Süden gehen.