Gaggenau/Schwarzwald - Memmingen; 13. April 2001 - 15. April 2001
215 km; 3 Tage


Es ist der 13. April, die letzten Tage haben dem Schwarzwald, wo ich gerade ein Praktikum durchführe, schönes Wetter beschert. Beste Bedingungen also, um meine Fahrradtour von Gaggenau (bei Rastatt) über München, Nürnberg/Bruck, Assamstadt bei Würzburg nach Stuttgart anzugehen - da ich noch nie eine Fahrradtour länger als 6 Stunden gemacht habe, sicherlich ein sehr ergeiziges Projekt. Aber eine vorhergehende Testfahrt zur 15 km entfernten Schwarzbachtalsperre hatte mich zuversichtlich gestimmt. Außerdem war ich bereits allein drei Wochen durch Borneo gereist - also: Wo ist das Problem?
Es geht endlich los! Bei Sonnenschein fahre ich 9:00 Uhr in Gaggenau los. Nach 15 km lerne ich bereits meine erste Lektion: Eine intensive Streckenvorbereitung ist das A und O einer Biketour (is klar) - allerdings sollte man sich auch die Höhenlinien ansehen, besonders im Schwarzwald. (Als Bundi sollte ich das doch eigentlich wissen!) Nach ca. 5-10 km nur bergauf erreiche ich ziemlich erschöpft und mittlerweile nur noch in kurzen Bikeshorts den 933 m hoch gelegenen Schwarzmiss. Bergab geht es dann wieder leichter - allerdings ist bei 5 min Fahrt bergab mit 40-60 km/h im schattigen Gelände eine winddichte Kleidung zu empfehlen. Ebenso hätte sich eine kurze Pause auf der Bergkuppe zum Herunterkühlen des Körpers positiv auf das allgemeine Wohlbefinden auswirken können - aber man lernt ja nie aus.
Kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, erreiche ich Altensteig. Froh, die ersten Strapazen hinter mich gebracht und einen sicheren Platz für das Bike gefunden zu haben, rücke ich hungrig in eine Art Konditorei oder Gaststätte ein. Als ich bestelle, wundere ich mich noch darüber, dass mich die Bedienung etwas verwirrt ansieht. Auf der Toilette fallen mir die weißen Ablagerungen im Gesicht auf. Hm, da hätte ich wohl mehr trinken sollen, um den Salz- und Wassergehalt im Körper aufzubauen. Gestärkt mit Apfelschorle und einem großen Salat gehe ich wieder ins Rennen.
18:00 Uhr erreiche ich den Campingplatz in Tübingen. Die innenstadtnähe nutze ich gleich für einen abendlichen Spaziergang. Beeindruckt von den vielen verwinkelten Straßen und aufgewärmt von einem heißen Tee kehre ich zurück und ziehe mich ins Zelt zurück.

Morgendlicher Blick aus dem Zelt! Der nächste Tag bringt einige Überraschungen mit sich. Fahrrad und Zelt sind mit einer Schneedecke überzogen - das stand aber nicht im Wetterbericht. Ok, den hab ich gar nicht gelesen, wieso auch: ich habe mich bei der Planung an meiner Entbehrlichkeit in der Firma orientiert. Nichtsdestotrotz besteige ich den Drahtesel eine Stunde später und: fast keine Schmerzen beim aufsitzen. Bikeshorts mit Innenpolster gehören nunmehr zur Grundausstattung jeder Fahrradtour.
Etwas unerwartet. Einige Stunden später, Reutlingen hinter mir, sehe ich mich wieder einem opulenten Anstieg gegenüber. Aber der Weg nach Osten führt eben über die schwäbische Alb, und da muss ich erst mal rauf. Ein Bauarbeiter am Wegrand empfiehlt mir einen Fußweg neben der Straße - ein guter Tip, so kann ich nach der Hälfte ausruhen. Die Abgeschiedenheit des Weges ist auch eine schöne Abwechslung zur Autostraße, auf der ich noch kurz zuvor von Autos mit über 130 Sachen hupend überholt wurde.
Oben angekommen führt mich meine Planung weiter Richtung Osten. Der Schnee der letzten Nacht ist zwar wieder weggetaut, aber von angenehmer Wärme kann ich nicht sprechen. Kurz vor Münsingen, in Gedanken an eine Übung auf dem dortigen Truppenübungsplatz versunken, merke ich, wie mir die Anstrengungen zu schaffen machen und mich zu einer längeren Rast zwingen. Die am Vormittag gekauften gesalzenen Erdnüsse bringen mich wieder hoch. Hätte ich doch fast das Gesicht der Bedienung vergessen!
Die Fahrt zieht sich weiter hin und es sind noch 25 km bis zum Campingplatz bei Altenstadt an der Iller. Die Sonne läßt sich wieder öfter blicken - das ist schön. Weniger angenehm sind die Schmerzen, die sich im linken Fuß breit machen. Mit halber Kraft radele ich weiter und erreiche 19:30 Uhr den Campingplatz. Zur Feier des Tages (110 km geschafft) gönne ich mir eine Lasagne beim örtlichen Italiener. Mit aufgesprungenen Fingern (wahrscheinlich Dehydration) und Sonnenbrand auf der Nase muss ich wohl wieder etwas ungewöhnlich ausgesehen haben.

Es ist der 15. April, das Wetter bleibt weiterhin ein wichtiger Einflussfaktor: 'Die Nacht ist nicht zum schlafen da' wird sich Petrus wohl gedacht haben und schickt mich mehrmals mit der Befürchtung eines sich abdeckenden Außenzeltes in den nächtlichen Schneeregen, um das Zelt weiter zu sichern. So ist es nicht verwunderlich, dass ich das Zelt mit deutlichem Zeitverzug verlassen habe - wohl zur Verwunderung der Schweizer, die mich aus ihrer molligen Wärme im Wohnwagen heraus argwöhnig beobachten. Ich grüße die Eidgenossen freundlich und widme mich meinen eigenen Problemen.
Die Schmerzen im Fuß sind leider noch anwesend. Im Gegensatz zu meinen kleinen rechten Finger, bei dem sich seit gestern ein taubes Gefühl eingestellt hat. Mit diesen Sorgen und einem nass eingepackten Zelt stehe ich 11:30 Uhr vor dem Campingplatz. Da sich das Wetter nicht zu meinen Gunsten entschieden hat und weiterhin durch Schneeregen, Kälte und Sturm überzeugt, gelange ich zu der Überzeugung, die 20 km nach Memmingen in Angriff zu nehmen und die dortige Jugendherberge aufzusuchen. Mit ein wenig Glück verliere ich nur einen halben Tag auf dem Weg nach München.
Die Zähne zusammenbeißend schwinge ich mich auf das Fahrrad und stelle mich den Witterungsbedingungen. Doch schon nach ein paar Kilometern wird mir einiges klar: Die Stoffschuhe aus der BW-Zeit sind für diese Tour nur bedingt einsatzfähig. Ich stapfe im kalten Nass meiner Schuhe. Pfatsch. Aua. Pfatsch. Aua... Bei starkem Seitenwind ist es wenig ratsam, das Fahrrad zum fahren zu nutzen. Als Stütze hat es einen wesentlich größeren Mehrwert. Die Snickers im Gepäck sind zwar energiereich, aber eisgekühlt kann man sie nur als Lutscherersatz nutzen. Allerdings fiel mir auch das schwer, da das Taubheitsgefühl auf andere Finger übergegriffen hat. Das Trinkproblem hat sich dagegen relativiert, ich brauche eigentlich nur den Mund aufzumachen und hinterschlucken. Reich an Erfahrung und Flüchen auf das Wetter bin ich mir bewusst, das mich der Tag nur bis nach Memmingen bringen wird.
Wieder zur Verwunderung meiner Mitmenschen betrete ich an allen Enden tropfend und noch mit übergezogener Gesichtsmaske die erste Tankstelle am Stadtrand von Memmingen. Diesmal zu meiner Verwunderung ruft man nicht die Polizei sondern hilft mir bei der Wegsuche zur Jugendherberge. Ich verlasse den Ort der Hilfsbereitschaft und setze meinen Weg in die Stadt fort. Am Ort der Gastfreundschaft dagegen teilt man mir mit, dass neue Gäste wohl erst ab 14:00 Uhr Einlass finden können. Ich weiß nicht, ob meine bittenden Worte oder mein hilfsbedürftiger Anblick die Haushüterin erweichten. Jedenfalls konnte ich sofort mein Quartier beziehen.

Memmingen - im Sommer sicherlich ganz nett. Der nächste Morgen erinnert mich daran, dass ein Bett wesentliche Vorteile gegenüber einer Lumatra und einer Isomatte hat. Trotzdem sind noch nicht wieder alle Finger an Board und der Fuß sagt bei jedem Schritt 'HALLO!'. Ich breche die Tour ab und fahre mit der Bahn zurück nach Gaggenau, wo sich tags darauf mein Chef ob meiner vorzeitigen Rückkehr freut und vorsorglich etwas Arbeit für mich zurückgehalten hat.
Nichtsdestotrotz empfand ich die (Tor)tour als sehr lehrreich. Habe ich doch viel über Selbstmotivation gelernt.

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